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Teil des 3. Kapitels
„Oh ja“, antwortete Frau Pfeiffer. Ihre Stimme brach und sie hustete krächzend. „Wir haben doch sehr gehofft, dass Sie kommen würden.“
„Was mich überrascht.“ Lee und Bruno setzten sich, als auch Frau Pfeiffer auf dem Sofa ihnen gegenüber Platz genommen hatte. „Ich hatte, also ich dachte …“
Frau Pfeiffer hustete wieder, diesmal lange und besorgniserregend. Der Husten eines alten Rauchers.
„Nun“, hob Lee wieder an, als Frau Pfeiffer zur Ruhe gekommen war. „Ich habe auf der Straße ein Telefonat von Ihrer Emma gehört und dachte …“
„Das war Sinn der Sache!“, rief Emma vom Türrahmen aus. Sie kam näher, in den Händen ein Tablett. Das stellte sie auf dem Tisch ab und deckte seelenruhig ein, ohne Anstalten, zu machen, ihrem Satz noch etwas hinzuzufügen, zwei weitere Tassen, die dazugehörige, dampfende Kanne; eine Karaffe Wasser, vier grüne Papierservietten und vier Gläser. Als alles so arrangiert war, dass es ihr zusagte, setzte sie sich auf das Sofa ihnen gegenüber neben Frau Pfeiffer, rückte erneut die Vase zurecht und blickte zufrieden umher.
Die beiden wirkten wie ein Renaissancegemälde. Emma, die dicke Frau mit verdrossener Miene und gesunden Wangen, die Haare grau und zu einem flaumigen Knoten aufgesteckt, die Augen klein und flink, ihr Körper eine Aufwallung ineinanderquellender Rundungen, wovon der Bauch mehr einnahm als ihre voluminöse Brust. Und Frau Pfeiffer, ein Jahrhundert im kobaltblauen Seidenkleid, das weiße Haar halblang und in dünnen Locken um das gebrechliche Gesicht, aus dem diese verwaschenen, blauen Augen auf vergilbtem Weiß herausstachen wie Vergissmeinnicht, rotgeädert, wach. So saßen die Damen – und zum ersten Mal erschien Bruno diese Bezeichnung absolut zutreffend –, die Beine artig nebeneinander gestellt, die Hände in ihren Schößen, ihre Köpfe leicht nach vorn geneigt, als spielten sie Synchronschwimmen und würden sich gleich in die goldglänzende Messingflut des Tischs stürzen. Sie hatten mit Lees Erscheinen gerechnet und zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte Bruno wieder die Duldung, die ihm an ihrer Seite galt. Es war, als sähe Frau Pfeiffer durch ihn hindurch und habe bereits verstanden, welchen Part er in Lees Leben spielte. Als wisse sie genau, dass eigentlich einem anderen dieser Platz auf dem Sofa gehörte. Seit er dort saß, fühlte er es und wusste nicht mehr, ob es nur Einbildung oder, mehr als das, ein Begebnis war. Sein Gespür dafür schien so unverlässlich geworden zu sein wie seine Fähigkeit zur Ignoranz, die ihm früher, auch als Herold und Lee geheiratet hatten, leicht gefallen war.
Damals, im Standesamt, hatte er das Aufatmen von Lees Eltern fast hören können. Als sei die Last, Bruno, von ihnen genommen worden und mit der Unterschrift auf dem Papier das Leben ihrer Tochter endlich geregelt. Für sie war Ruhe eingekehrt wie am Ende eines turbulent konstruierten Films, nach dem es unmöglich weitergehen konnte, weil der Alltag weiter nichts zu erzählen hatte und seine hässliche Normalität das schwer errungene Glück der Hauptdarstellerin zunichte machen würde. Dabei hatte Lee ihre Eltern mitnichten belastet. Sie war aus dem katholischen Haus gezogen, so früh es irgend möglich gewesen war, zuerst auf ein Internat in die Nähe von Manchester, danach aufs College in Schottland. Sie hatte darauf bestanden, ihr eigenes Geld zu verdienen und nicht, wie ihre Schwester, im Unternehmen ihres Vaters Bernard einen geschenkten Job mit zu hohem Gehalt anzunehmen. Dass ihr Vater eine Wohnung in London für sie kaufte, damit sie nicht in einer bezahlbaren Mietbehausung am Stadtrand unter die Räder oder in einer zweifelhaften Wohngemeinschaft an drogensüchtige Mitbewohner kam, hatte Lee zwar verhindern wollen, aber nicht können und schließlich klein beigegeben. Laut Hopes Fernanalyse hatte Lee damit aber nur zum Teil das Richtige getan: Sich unabhängig gemacht, aber jegliche Aufarbeitung vermieden. „Sie hat nichts aufzuarbeiten“, hatte Bruno entgegnet, „sie weiß, mit wem sie es zu tun hat und hat ihre Schlüsse daraus gezogen.“ Doch dass Lee lange zögerte, Herold zu heiraten, weil sein Lebenslauf genau in die Vorstellungen ihrer Eltern passte, hatte Bruno irritiert. Als Lee den Plan ihrer Eltern ruinierte und die Scheidung beantragte, hatten diese erwartungsgemäß reagiert. Lee hatte Bruno am Telefon davon erzählt, Bernard habe sofort zwei Drinks heruntergestürzt als wollte er sagen, dass er fortan nichts mehr für seine Erstgeborene tun könne. Und Lees Mutter Caren sei in Tränen ausgebrochen, wobei undeutlich geblieben war, was genau sie betrauert hatte – sich selbst oder Herold, den Bilderbuchschwiegersohn mit ehelichen Vorlieben, die sie, wie Lee für Bruno anmerkte und leider nicht spezifizierte, überrascht hätten. Aber Herold hätte ein obdachloser Mundharmonikaspieler oder Bordellbesitzer sein können – alles war den Curtins lieber als Bruno, der Parvenü aus dem Psycho-Haushalt, dessen Beziehung zu Lee sie nie einschätzen konnten, die ihnen ein unerklärliches Phänomen blieb und allein durch Herolds Akzeptanz eine Form von später Legitimation fand, nach der Frau Pfeiffer in diesem Augenblick suchte. Ihre Skepsis lag für Bruno in der Luft wie Braten und Broccoli.
„Schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben“, wiederholte Frau Pfeiffer.
„Und so schnell!“, lobte Emma nochmals. Es kam Bruno vor, als seien sie angetreten, Großmutter und Tante ein gutes Schulzeugnis zu präsentieren.
„Aber das war“, Lee beugte sich für den neuerlichen Anlauf vor, „wie Sie eben sagten, Sinn der Sache, richtig?“
Frau Pfeiffer stellte ihre Teetasse wieder auf die Untertasse. Sie zitterte ein wenig dabei. Ihre Finger waren sehr dünn und leicht verformt, wie sie all die Ringe daran stecken konnte, war Lee rätselhaft, vielleicht nahm sie sie nicht ab, vielleicht trug sie sie seit Jahren ohne Unterlass. Es waren feine und breite, schlichte und aufwendige, ein goldener Ring mit einem ovalen Smaragd, ein schmaler Ehering am Ringfinger der Linken, ein hölzerner Reif an ihrem Daumen. Frau Pfeiffers Nägel waren manikürt und lackiert, zartrosa. Sie deutete auf die giftgrünen Ohrensessel in ihrem Rücken: „Ich habe Sie gesehen.“ Die drei großen Erkerfenster gingen auf die Westbourne Grove hinaus sowie, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die Fassade von Tom’s Café. „Ich habe Sie jeden Tag im Café sitzen und schreiben sehen und mich gefragt, was Sie da wohl schreiben. Aber …“, die Pause setzte sie mit Bedacht, „bald bin ich dahinter gestiegen, dass es mit den Leuten zu tun hatte, die vorbeigingen und telefonierten. Emma und ich fanden das faszinierend und haben uns gefragt, worauf Sie wohl hören und was davon Sie warum notieren.“
„Und deswegen haben Sie Emma mit dem Telefon heruntergeschickt und mir diesen kleinen Streich gespielt?“ Lees Unbehagen über die Leichtigkeit, mit der Frau Pfeiffer ihr Tun erkannt hatte, wich einem Anflug von Verärgerung.
„Aber nicht doch! Wo denken Sie hin?“ Frau Pfeiffer schlug sich auf die Schenkel, ihr Gesichtsausdruck leutselig.
„Nein“, bekräftigte Emma, „wir haben schon einen guten Grund. Möchten Sie ein Plätzchen?“
Lee lehnte dankend ab. Bruno wurde nicht gefragt.
„Vielleicht etwas Salziges?“ fragte Frau Pfeiffer. „Emma, Sie haben nichts Salziges aufgetragen. Vielleicht möchten die jungen Leute auch lieber Wein statt Tee?“
„Für mich nicht, danke“, verneinte Lee wieder.
Frau Pfeiffer räusperte sich. „Aber ich brauche jetzt etwas Ordentliches. Bringen Sie mir einen Whiskey, Emma.“
„Es ist viertel vor vier.“ Emma rührte sich nicht.
Frau Pfeiffer wedelte mit den Armen in der Luft. „Nach Mittag ist es statthaft und ein Whiskey wird mich nicht umbringen.“
Emma blieb entspannt sitzen. Ihre Hände ruhten zusammengefaltet auf dem mächtigen Bauch, sie hatte Mühe, sie dort überhaupt zusammenzubringen, und augenscheinlich keinerlei Mühe, Frau Pfeiffers Bitte zu ignorieren.
Die sah entmutigt drein, ließ es aber auf sich beruhen. „Erzählen Sie von sich.“
„Was würden Sie denn gern hören?“, fragte Lee.
„Fangen wir mit den einfachsten Dingen an. Wie Sie heißen. Was Sie tun in Ihrem Leben. Wer dieser junge Mann neben Ihnen ist.“ Frau Pfeiffer blickte verschmitzt. „Ihn habe ich noch nie vorher gesehen, dabei habe ich ein Fernglas dort am Tisch, in der Schublade.“
Es wurde immer schöner. Bruno zog die Augenbrauen hoch.
„Ich bin Lee Curtin und das ist Bruno Hornyak“, Lee legte ihre Hand auf seine Schulter, „ein guter Freund.“
„Lee also“, wiederholte Frau Pfeiffer. Und überlegte. „Irgendwo habe ich gelesen, dass es ›die Fliehende‹ bedeuten soll.“
„Das war in dem Magazin neulich, ich habe es Ihnen vorgelesen, erinnern Sie sich? Namen und was sie sagen. Lee sollte da aber auch Wiese oder Feld bedeuten, darüber haben wir uns noch gewundert …“, fügte Emma hinzu.
„Also viele Möglichkeiten. Welche trifft zu?“ fragte Frau Pfeiffer. „Kommen Sie vom Feld oder sind Sie auf der Flucht, Lee?“
„Weder das eine noch das andere.“ Auf einmal war Lee ruhig und ließ sich, alles andere schien aussichtslos, auf das Gespräch ein. „Meine Mutter ist Amerikanerin und hat meine Schwester und mich nach unseren Großmüttern benannt. Lee und Joanne. Das ist die ganze Erklärung.“
„Ihre Mutter ist also ein Familienmensch mit Sinn für Traditionen.“
Lee sagte dazu lieber nichts und Bruno blickte zur Decke. Caren war bedrückend aufopferungsvoll und so fraglos honorabel, dass es, was ihre Familie betraf, an Aggression grenzte. Sie weihte ihre Zeit den Kranken und Bedürftigen rund um ihr Haus bei Oxford. Und im Angesicht der Existenznöte ihrer Schützlinge fand nichts anderes Raum, geschweige denn Gnade. Wenn man überhaupt von Harmonie in Lees Familie sprechen konnte, so von einer explosiven. Unter der Oberfläche eines perfekt organisierten, geradezu biblisch vorbildlichen Alltags lag Ungemach, das jedem Lehrbuch zur Ehre gereicht hätte – sagte Hope.
„Es ist nett von Ihnen, Hornyak, dass Sie Lee bei der Suche nach mir geholfen haben.“ Für einen Moment sah Frau Pfeiffer weit jünger aus. „Sie waren wirklich bemerkenswert schnell. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Sie einfach Hornyak nenne?
„Wenn es Ihnen Freude macht.“ Er wusste nicht, ob er ihr Lob amüsant oder absurd finden sollte. „Wie viel Zeit hatten Sie uns denn für die Schnitzeljagd gegeben?“
„Ein paar Tage, vielleicht länger. Aber nicht einmal einen Tag?“
„Ist es der Rekord?“
„Es ist nicht unser Hobby“, antwortete Emma schroff. „Aber Sie verraten uns jetzt, Emma, warum Sie dieses Gespräch so geführt haben, dass ich es hören und annehmen musste, dass Gefahr in Verzug ist?“ Lee nahm ihre Teetasse und lehnte sich zurück. Sie hatte Zeit, auf die Antwort zu warten.
„Wir wussten nicht, wie wir es anders hätten anstellen sollen, Sie kennen zu lernen“, antwortete Emma.
„Sie hätten in den Laden da unten gehen können, ins Tom’s“, schlug Bruno vor. „Sie hätten sich einen Kaffee bestellen und Guten Tag sagen können.“
„Auf diese Weise hätten wir aber nicht herausgefunden, was wir herausfinden wollten“, konterte Frau Pfeiffer gelassen.
„Und das wäre?“
Lee sah Bruno warnend an. Geduld war nötig.
Frau Pfeiffer und Emma tauschten einen Blick. „Bitte nehmen Sie es uns nicht übel“, wich Frau Pfeiffer aus. „Wir haben uns keinen Streich erlaubt, eher einen kleinen Kunstgriff. Aber es ist noch zu früh, um Ihnen zu sagen, was uns dazu bewogen hat. Wir haben uns doch gerade erst kennen gelernt. Mir ist klar, dass es ungewöhnlich ist, was meine Haushälterin und ich Ihnen zumuten, aber ich bin keine senile Alte, der langweilig ist. Wenn Sie beide mir das für den Moment glauben könnten, wäre ich froh. Nein, mehr noch: Ich wäre Ihnen sehr dankbar.“
„Ist das hier am Ende eine Geschichte mit versteckter Kamera, in der Sie sich als verschollene Großtante entpuppen?“, fragte Bruno. „Womöglich ist Lees Mutter Caren ein Adoptivkind und Sie sind jetzt Lees echte Oma – etwas in der Art?“
Frau Pfeiffer lachte und schüttelte ihre dünnen, weißen Locken. „Du lieber Himmel, nein. Keine Kamera. Keine verschollene Verwandte. Ich bin Aurora Pfeiffer und habe mit Lee oder Ihnen nicht das Geringste zu tun. Was sich aber, so hoffe ich wenigstens, ändern wird.“
„Haben Sie denn herausgefunden, was Sie herausfinden wollten?“ Lee war bereit, jeden Umweg in Kauf zu nehmen.
Aurora Pfeiffer drehte mit dem leichten Zittern ihrer Hand die Tasse auf dem Tisch, drehte sie zweimal, bis sie wieder exakt so vor ihr stand, wie Emma sie positioniert hatte. „Ich schätze“, antwortete sie vorsichtig, „ja, ich glaube, das haben wir.“
Das Gespräch sollte länger dauern, zweifellos. Emma stand auf und holte aus dem Handarbeitskorb neben einem der Ohrensessel ihre Knüpfarbeit – ein scheußliches Sofakissen in Grün- und Brauntönen war in Arbeit, das Gesicht eines Dackels. „Und Sie, Lee, haben Sie herausgefunden, was Sie herausfinden wollten, wenn Sie da unten saßen und schrieben?“, fragte sie. Sie setzte sich wieder und ihre dicke Hand huschte sogleich mit dem Knüpfhaken über dem Kissen auf und ab.
„Ich habe mitgeschrieben, was sich die Leute auf der Straße am Telefon erzählen. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass kaum jemand mehr ohne Telefon über die Straße geht. Mich interessiert, warum.“
„Hat Ihre bisherige Arbeit Sie der Antwort näher gebracht?“
„Die meisten Menschen haben offenbar eine Heidenangst vor dem Alleinsein, davor, ein paar Minuten den Kontakt zu anderen zu verlieren.“
„Und das halten Sie nicht für natürlich?“ fragte Frau Pfeiffer erstaunt.
„Im Prinzip schon, aber nicht in dem Ausmaß.“
Frau Pfeiffer lehnte sich in ihrem Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und dachte nach. Emma tupfte mit dem Zeigefinger auf ihr Knie: „Durchblutung!“
Frau Pfeiffer änderte ihre Sitzposition nicht. „Sie meinen, dass Alleinsein und Warten eine besondere Magie hat?“
„Auch das, ja. Aber vor allem glaube ich, dass es die wesentlichen aus den unwesentlichen Informationen herausfiltert.“
Frau Pfeiffer nickte. „Ich bin der Ansicht, dass über Wesentliches und Unwesentliches allein die Geschichte entscheidet.“ Sie umfasste ihr Knie mit beiden Händen und wippte mit dem dünnen Bein provokativ in Emmas Richtung. „Das wissen wir spätestens seit Herodot und seiner Schilderung der Persischen Kriege. Was wären sie ohne all die verspielten Details? Im Grunde sind die spannender als die eigentlichen Kriegshandlungen und der ganze Schlachtenfirlefanz, sagen uns viel mehr über die Menschen als alles andere.“ Sie überlegte kurz. „So gesehen, Lee, leisten Sie einen wertvollen Beitrag zur Geschichtsschreibung. Eines fernen Tages wird jemand Ihre Aufzeichnungen lesen und verstehen, wie rückständig, fortschrittlich, zügellos, tumb oder beengt es in unseren Tagen zuging.“
„Von dieser Warte hatte ich es noch nicht betrachtet …“, Lee lächelte. „Aber so groß will ich es nicht aufhängen, bislang geht es mir darum zu dokumentieren, was für substantiell gehalten wird.“
Bruno lehnte sich zurück.
Frau Pfeiffer beobachtete ihn. „Sie, Hornyak, können dem Projekt Ihrer Freundin nichts abgewinnen, sehe ich das richtig?“
„Ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat, aber es passt gut: Um glücklich zu sein, darf man sich nicht zu sehr mit den Mitmenschen beschäftigen.“
„Albert Camus hat das gesagt. Ein Existenzialist.“ Die zugehörige Handbewegung zeigte, was Frau Pfeiffer von Existenzialisten hielt. „Dazu passt aber nicht, dass Sie mich gesucht haben.“
„Prinzipien sind dazu da, ab und zu auf die Probe gestellt zu werden.“
„Ach, nun kommen Sie aber!“ rief Frau Pfeiffer enttäuscht. „Sie haben doch hoffentlich mehr drauf?“
„Die nackte Wahrheit: Ich wollte Lee helfen, die ein notorischer Philanthrop ist.“
„Und mit so was sind Sie befreundet?“
Bruno entgegnete belustigt: „Mir ist klar, was es über mich aussagt.“
Frau Pfeiffer war sehr zufrieden und ließ einen Moment verstreichen. „Aber Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, Lee, ob die Leute auf der Straße, an ihren Telefonen, ihre Gespräche selbst inhaltsreich finden. Könnte doch sein, dass alle umherlaufen und absichtlich nach Lust und Laune Unsinn reden. Es könnte ihnen einfach Freude machen, miteinander zu sprechen.“
„Darum höre ich einigen länger und ausführlicher zu, um zu sehen, ob sich an ihrer Themenwahl ab und zu etwas ändert. Und natürlich haben Sie Recht – ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass meine Projektteilnehmer, nennen wir sie spaßeshalber so, ihre Gerede für substantiell halten, aber die Annahme ist legitim, wenn sie sich die Mühe machen, mehrere Einkaufs- oder Aktentaschen zu schleppen, dabei Schaufenster oder Bushalteschilder zu studieren und gleichzeitig, meist übrigens atemlos, zu reden. Das muss doch wichtig sein, sonst würde man solche Beschwernisse kaum in Kauf nehmen, oder?“
„Oder es ist extrem unwichtig, so belanglos, dass sie das Gespräch problemlos nebenher führen können“, warf Frau Pfeiffer ein.
„Und sogar so ein belangloses Gespräch muss geführt werden?“, konterte Lee.
Warum nur taten sich alle so schwer, ihr Anliegen zu verstehen?
„Verraten Sie uns, worüber die meisten Menschen sprechen“, mischte sich Emma ein und pflügte durch ihre Knüpfarbeit, von der Bruno sich fragte, wo sie einmal landen würde. Ein exkrementenbrauner Dackel als Sofakissen.
„Überwiegend ist es alles und nichts – genau das, was Sie wahrscheinlich vermuten.“
„Das Leben also“, sagte Frau Pfeiffer knapp. „Was uns zu der Frage führt: Gibt es etwas Wichtigeres?“
„Sind Kochrezepte oder Ortsangaben wichtig?“, fragte Lee zurück.
„Für Nahrungsaufnahme und Standortbestimmung durchaus“, befand Frau Pfeiffer heiter. „Ich verstehe, was Sie sagen, Lee. Mit Kommunikation im eigentlichen Sinne, dem Informationsaustausch als grundlegender Notwendigkeit menschlichen Lebens, hat es vielleicht wenig zu tun. Auf den ersten Blick. Aber auf den zweiten? Ich bin mir nicht so sicher. Worin besteht Notwendigkeit? An welcher Stelle beginnt Substanz? Aber vielleicht sollte ich gleich zugeben, dass mich diese kleinen Dinger faszinieren. Wenn es solche Telefone zu meiner Zeit gegeben hätte – ich hätte geredet, was das Zeug hält, wahrscheinlich auch über Kochrezepte und Supermarktpreise und das Wetter.“
„Nun haben Sie ja eins“, warf Bruno ein.
Emma grunzte. „Der Mann im Telefongeschäft hat es mir stundenlang erklärt, er hätte mich am liebsten auf den Mond geschickt. Aber ich habe es, obwohl ich es ja nicht einmal benutzen, nur in der Hand halten musste, brav aufgeladen, einmal an- und wieder ausgemacht. Ich habe Angst, etwas kaputtzumachen.“
„Und Sie haben mir jeden Tag zugesehen?“, vergewisserte sich Lee. Dass Frau Pfeiffer nichts anderes als es ihr gleichgetan hatte in ihrem Ohrensessel und mit ihrem Fernglas, ließ sie nicht los.
„Jeden Tag. Ich sitze gern dort im Sessel meines verstorbenen Mannes. Was soll ich auch groß tun? Ich bin jetzt 99 Jahre alt, nicht mehr so beweglich wie früher, eine uralte Schachtel ohne Familie und Freunde. Alle tot. Und Emma kann mir nicht von früh bis spät vorlesen. Siebenundfünfzig Jahre ist sie jetzt bei mir; ihre Augen werden auch nicht besser.“
„Das kann man wohl sagen“, murmelte Emma und beugte sich wie zur Bestätigung noch tiefer über ihre Knüpfarbeit, den Dackel.
„Wann ist Ihr Mann gestorben?“, fragte Lee.
Frau Pfeiffer stand auf und Emma passte aus den Augenwinkeln routiniert auf sie auf. Die Alte musste einen Moment stehen bleiben und Kraft sammeln, bevor sie zur Kommode gehen konnte. Sie ging ohne Stock, unsicher, aber aufrecht; das Kleid, das einmal besser gepasst hatte, schwang locker um ihren knorrigen Körper. Sie nahm eine der Fotografien und reichte sie Lee, der das Bild schon zuvor aufgefallen war. Schwarzweiß. Ein Mann mit weißem Kittel über Hemd und Krawatte, hoher Stirn und netten, runden Knopfaugen. Ein korpulenter Teddybär, nicht anziehend, auch nicht unattraktiv. Seine Haare dunkel, kurz und glatt nach hinten gekämmt, sein Mund klar und gerade wie ein gestickter Garnmund auf Plüsch. „Philippe ist vor sechsundzwanzig Jahren gestorben. Er war Arzt, Chirurg.“
„Und ein enorm feiner Mann“, fügte Emma hinzu.
„Ich habe ihn in Paris kennen gelernt. Buchstäblich auf der Straße. Ich war Krankenschwester und mit meinen Eltern auf Reisen. Ein Freund meines Vaters arbeitete im Hertford British Hospital an der Rue Barbès Levallois-Perret.“ Sie sprach den französischen Namen flüssig und ohne Akzent. „Ein schönes Haus übrigens, weiß der Himmel, was daraus geworden ist. Jedenfalls wollte dieser Freund mich dort für ein paar Wochen als Aushilfe beschäftigen.“
„Also besuchten sie das Krankenhaus vorab. Und da stand dieser fesche Arzt vor der Tür und rauchte eine Zigarette“, erzählte Emma weiter, die die Geschichte offenbar singen konnte. „Den Rest können Sie sich denken.“
„Genau, Philippe kam hierher und wir haben geheiratet. Das war 1938.“
„Sie haben sich einmal gesehen und sogleich geheiratet?“
„Philippe hat nie lange gefackelt. Er hat mir den Antrag noch vor der Krankenhaustür gemacht und ich habe angenommen.“
„Nach fünf Minuten“, sagte Emma.
„Und gearbeitet habe ich in Frankreich auch nicht mehr.“ Frau Pfeiffer überlegte. „Dass es einen Krieg geben würde, daran hat Philippe nicht geglaubt. Ich übrigens auch nicht. Überhaupt wenige haben das geglaubt. Das Bild von den Deutschen war in England und Frankreich diffus in jenen Tagen, dieser Führer hat seine Außenpolitik wie das Fähnchen im Winde gedreht, und eine Weile gingen alle davon aus, man könne ihn mit diesem und jenem Entgegenkommen in Schach halten. Eine Freundin von mir war leidenschaftlich in ihn verliebt und hatte ihre Küche mit Fotos von Hitler gepflastert, so aufregend fand sie den verstörten Mann. Freilich – hätte man sich wirklich mit ihm beschäftigt, und es gab einige gute Leute hier wie in Frankreich und übrigens auch Deutschland, die es getan und darüber geschrieben haben, hätten wir spätestens ab dem Münchner Abkommen alles wissen können. Aber wir wollten es eben nicht, wollten uns keinen weiteren Krieg vorstellen und darum nicht wahrhaben, dass Hitler nur darauf zusteuerte. Die öffentliche Meinung war so simpel: Zuerst war es das Land der Dichter und Denker, der großen Komponisten Europas und ein Vorbild. 1918 hatten wir es ordentlich in die Knie gezwungen und bestraft und sahen nur noch den Verlierer. Wer wäre auf den Gedanken gekommen, dass dieses Land in kürzester Zeit barbarisch auferstehen würde? Lernt man das eigentlich heute noch in der Schule?“
„Natürlich“, antwortete Lee.
„Jedes Kind, das im Unterricht davon hört, muss mindestens einmal von Alpträumen geplagt werden, sonst hat der Lehrer schlecht gearbeitet.“ Frau Pfeiffer zupfte an ihrem kobaltblauen Rock. „Sind Sie mit Alpträumen aufgewacht?“
„Ich weiß es nicht mehr“, gab Lee zu.
„Ihr Lehrer hat Mist gebaut.“
„Zur Zeit der deutschen Besatzung war Ihr Mann also hier in England und nicht in Frankreich?“ fragte Bruno. „Und wusste dabei nicht, was schlimmer war – seine Familie war in Paris, sein Vater war Jude.“
„Hat er überlebt?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Gab es denn keine Möglichkeit, ihn nach England zu holen?“, fragte Lee.
„Natürlich, das wäre schon gegangen, irgendwie. Aber das kam für meinen Schwiegervater überhaupt nicht in Frage. Er war ein kämpferischer und aufrechter Mann, er wollte in Paris bleiben. Natürlich ließe sich trefflich darüber streiten, was in so einem Fall Mut ausmacht, aber am Ende ging es um Respekt für seine Entscheidung. Und Philippe traf für sich die Entscheidung, von hier aus mitzukämpfen. Er war bei der Zweiten Schlacht von El Alamein dabei. Ich weiß gar nicht“, Frau Pfeiffer hielt einen Moment inne. „Ich weiß gar nicht, wie Ihr jungen Leute das heute seht. Ich meine die Heimat. Die Welt ist doch viel kleiner geworden. Wenn ich mit Emma alle paar Wochen ein paar Schritte um die Häuser tue, höre ich alle möglichen Sprachen, es kommt mir so vor, als seien sämtliche Nationalitäten hier vertreten, weit mehr als früher wenigstens. In anderen Städten der Welt wird es kaum anders sein. Fühlt überhaupt noch irgendjemand so etwas wie Heimat?“
Bruno schwieg, natürlich, und Lee überlegte einen Moment. „Ich habe meine Kindheit in Amerika verbracht, später sind wir nach England gezogen. Ich war zwölf, dreizehn, ich weiß es nicht mehr. Beides ist mir vertraut.“
„Es sind just bewegte Zeiten in ihrem zweiten Heimatland.“ Frau Pfeiffer zog beide Augenbrauen hoch. „Für wen sind Sie?“
„Mal abgesehen davon, dass alles besser ist als das, was wir gerade haben: Die Demokraten.“
„Schaffen sie es?“
Lee zögerte nicht. „Absolut.“
„Sie mögen Recht haben, Lee … Wer hätte geglaubt, dass Mandela Präsident Südafrikas wird oder dass die Sowjets am Kapitalismus derart Gefallen finden, dass sie es damit noch schlimmer treiben als zu meiner Zeit die texanischen Ölmillionäre? Die kommen mir im direkten Vergleich vor wie eine wohlerzogene Pfadfindertruppe. Also: wer weiß? Sogar die Amerikaner könnten eines Tages vernünftig werden. Wenn Sie Recht behalten, feiere ich mit Ihnen einen kleinen Sieg über den Schwachsinn. Was ist mit Ihnen, Hornyak, fühlen Sie sich irgendwo Zuhause?“
Bruno zuckte die Schultern.
„Ich kann mir vorstellen, dass es nicht mehr leicht zu beantworten ist.“ Frau Pfeiffer nickte. „Heute ist Heimat ein Bekenntnis, früher war sie ein Fait accompli. Und wenn mir die Vorteile der – wie nennen es alle? – Globalisierung auch einleuchten, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken. Wählen zu können, Zugehörigkeit aufzuteilen, das hätte mich zerrissen und verwaschen. Für Philippe war Frankreich seine Heimat, Paris, noch mehr aber der Süden, wo seine Mutter herkam. Er hat dieses Land mir zuliebe verlassen. Und vermisst. Aber für mich war England meine Heimat. London. Dieses Haus hier. Und ich war nicht imstande, dasselbe für ihn zu tun, weil ich immer der Überzeugung war, dass mein Land mich vervollständigte. Es mag engstirnig klingen, aber so war es nun mal.“
„Und für Sie, Emma?“ Lee hatte ein solches Exemplar von Treue und Anhänglichkeit für einen Mythos gehalten.
„Sussex“, raunzte sie, als sei schon die Frage unstatthaft.
„Und Sie waren immer hier, siebenundfünfzig Jahre lang?“ Lee ließ sich nicht abwimmeln.
Emma knüpfte eisern weiter. „Sie fragen, ob ich ein eigenes Leben hatte, so, wie ich am Telefon gesagt habe? Das hier ist mein Leben. Vielleicht keines, das Sie sich vorstellen können, aber es ist eines. Ich bin mit siebzehn von der Hauswirtschaftsschule gekommen. Und ich bleibe, solange es dauert.“
„Sie hat es meinem Mann versprochen“, sagte Frau Pfeiffer als erkläre dies alles. „Und Emma war auch mal verheiratet – die kürzeste Ehe aller Zeiten.“
Emma verdrehte komisch die Augen. „Er hieß Henry, war Elektriker und wir waren genau zwei Wochen verheiratet. Schon war er auf und davon, mit all unseren Möbeln und meinem Geld.“
„Sind Sie verheiratet?“, erkundigte sich Frau Pfeiffer bei Lee.
„Ich war es bis vor zwei Wochen.“
Frau Pfeiffer machte ein betretenes Gesicht, Emmas kleine Augen aber waren voller Neugier. „Was ist passiert?“
Lee schüttete sich noch etwas Tee nach. „Es hat nicht funktioniert, ganz einfach. Aber die Möbel hat er dagelassen.“ Frau Pfeiffer drehte den Ring an ihrem Zeigefinger. „Wie steht es mit Ihnen, Hornyak?“
Er verneinte, allmählich hatte er genug von dem Geplänkel.
„Sind Sie homosexuell?“ fragte Emma.
„Bruno ist von allem etwas“, rutschte es Lee darauf heraus. Er drehte sich langsam und ungläubig in ihre Richtung.
„Lieber Himmel!“ rief Emma. „Einer, der sich nicht entscheiden kann! Da haben Sie sich aber ein Problem aufgehalst, mein Lieber!“
Bruno verzichtete, darauf überhaupt zu antworten.
„Emma! Was fällt Ihnen ein?“ fuhr Frau Pfeiffer sie an.
„In der Antike, also zu meiner Zeit, war das vollkommen normal, dagegen gibt es nichts einzuwenden. Und es geht uns in der Tat nichts an, es hat nichts damit zu tun.“
„Womit zu tun?“, unternahm Lee mit entschuldigendem Blick in Brunos Richtung einen weiteren Versuch, das Thema wieder auf die eigentliche Frage zu lenken.
Aber Frau Pfeiffer ruderte wieder nur hilflos in der Luft herum.
Brunos Augen ruhten derweil auf Lee. Sie saß da, als betrachte sie ein Kammerspiel, an dem sie Gefallen fand. Ihre Wangen rosig vor Glück, als packe sie ein Geschenk aus. Ihre Augen sogen die beiden Frauen und die Umgebung auf, als befürchte sie, den Raum und seine Bewohner nicht wiederzusehen und müsse den Moment daher ganz und gar verinnerlichen. Ihre Hände lagen auf ihren weißen Oberschenkeln, so artig, so wohlerzogen, dass es ihm plötzlich reichte. Er hatte genug von all den Fremden, die sich vor ihnen ausgebreitet hatten wie Straßenhändler ihre Waren, den Irren, die aus ihren Höhlen gekrochen waren und ihre Geschichten und Malaisen und Tragödien ausgespuckt hatten, nur, weil sie vor ihren Türen gestanden und einen Namen genannt hatten. Und er hatte genug von Lees Bereitschaft, mitzuspielen; genug von ihrer Suche nach dieser einen Erkenntnis, diesem Phantom, das sie verfolgte, seit er sie kannte. Er stand so abrupt auf, dass die anderen zu reden aufhörten. „Ich schlage vor“, sagte er, „dass Sie Lee jetzt mitteilen, warum wir hier sind.“
Frau Pfeiffer erschrak. Ihr Blick glitt ab, verstört, als sehe sie durch ihn hindurch. „Könnten wir das auf morgen verschieben?“, entgegnete sie nach einer Weile kraftlos, ihre Stimme zäh und strapaziert. „Ich fürchte, dass ich ausruhen muss. Aber versprechen Sie mir vorher, dass Sie wiederkommen werden? Morgen? Um die gleiche Zeit?“ Sie blieb sitzen und streckte Bruno ihre Hand entgegen. „Bitte verzeihen Sie, Hornyak, wir haben uns schlecht benommen.“ Sie hustete.
Er sagte nichts, ergriff aber kurz die dargebotene Hand und ging zur Tür.
Lee stand ebenfalls auf. Frau Pfeiffer nahm auch ihre Hand. „Sie glauben mir, Lee, Sie glauben mir, dass ich einen wichtigen Grund habe, nicht wahr?“
Roman
Hardcover
212 Seiten
Berlin University Press, 2012
[D] € 19,90
ISBN 978-3-86280-024-7
Etwas exzentrisch sind sie alle. Ihr Leben ist bewegt von Bekenntnissen, Botschaften und Neuanfängen auf der Suche nach Glück – das entbehrt nicht der Komik. Im bürgerlichen London zu Zeiten der Finanzkrise leben sie: Lee und Bruno, von Jugend an ein unzertrennliches Neurosengespann; Herold, der gerade als gekündigter glückloser Banker und Exgatte von Lee aus Singapur zurückkehrt; Carl und Hope, Psycho-Esoteriker und Stiefeltern von Bruno, dieser attraktiven Mischung aus Don Juan und Diogenes. Lee, die sich seit Jahren von ihrer wohlhabenden Herkunft voll explosiver Harmonie zu entledigen sucht, kennt er schon aus College-Jahren. Lee Curtin und Bruno Hornyak lernen, ausgelöst durch ein unfreiwillig mitgehörtes Mobiltelefonat, Frau Pfeiffer kennen: ein Lockruf aus einem musealen Stadthaus, wo Aurora Pfeiffer mit Haushälterin Emma lebt. Fast ein Jahrhundert alt, seit 26 Jahren schon ohne Philippe, der französische Chirurgen, den sie geliebt und betrogen hat. Ihr Keller birgt ein Geheimnis. Einem skurrilen letzten Wunsch von Frau Pfeiffer können sich Lee und Bruno nicht entziehen. Sie beginnen, eine kluge Lebensbotschaft zu verstehen.